Andreas Koller dirigierte Händels "Messiah"

Schlüssig addierte Affektgesten

Die Selbstläufer der Musik machen eine Aufführung nicht unbedingt leichter. Gerade wer heute etwa den Messiah gibt, kann zwar mit vollen Kirchenbänken rechnen, muss sich dafür aber auch umso besser überlegen, was er den unzähligen Lesarten und Klischees denn entgegenzusetzen hat, wie die Partitur so verinnerlicht werden kann, dass die eigene Deutung über das Erwartbare hinaus reicht.

Ein Ansatzpunkt wäre beispielsweise, das Kleingedruckte mitzulesen. Andreas Koller tut dies am Samstag Abend in der dicht besetzten Paulus-Kirche und bringt auf diese Weise ein Oratorium zum Leben, in dem sich Unterhaltung, Ernst und große musikalische Anmut wunderbar ergänzen, bis am Ende keine Fragen offen bleiben. Da scheint der Kieler Kantor auf einer Ebene ganz auf die Feinheiten der Händel'schen Tonsprache zu setzen, auf einer anderen jedoch zugleich die große Architektur dieses Dreiteilers zu studieren, so dass dem Zuhörer hier viel mehr als nur barocke Kurzweil geboten wird.

Die wohl präparierte Heinrich-Schütz-Kantorei und das Hamburger Barockorchester erweisen sich dabei als hoch inspirierte, ebenso diszipliniert wie seelenvoll agierende Klangkörper, die Koller überdies hervorragend in Balance zu halten versteht. Die überzeugende Basis dieser Stimmigkeit bilden vor allem die stichhaltigen Tempi, oft zügig, niemals übereilt. Statt dessen scheint hier sehr genau nachgespürt zu werden, wie viel Zeit und Raum die verschiedenen Oratoriums-Stationen für eine optimale Entfaltung benötigen. Und so wirkt diese Ausleuchtung insgesamt wie eine schlüssig addierte Summe aus vielen autonomen, in sich geschlossenen Affektgesten.

Hierin liegt die Herausforderung für ein Solistenquartett, dass in seiner stimmlichen Leichtgewichtigkeit sehr gut harmoniert. Julian Pages' schlanker, geschmeidig tönender Bass wirkt überzeugend auch in den Hochgeschwindigkeitszonen, zumal der Sänger auch und gerade hier mit enormer Ausdruckskraft agiert. Mit seinem klaren, entwaffnend direkt eingesetzten Altus kann auch Werner Buchin ein vergleichbares Maß an Expressivität entfalten: In seinen Arien scheint jede Silbe ihr eigenes Gewicht zu erhalten. Nicht ganz so differenziert, mit seinem sehr hellen, mitunter leicht aufgeraut wirkenden Tenor meistert auch Mathis Gronemeyer seinen Part, bildet ein harmonisches Gegenüber für Viola Wiemker, deren frischer, grazil tönender Sopran sich harmonisch in eine mit reichlichem Applaus bedachte Aufführung eingliedert, die man sich spannender und packender nicht hätte wünschen können.

Oliver Stenzel

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Kieler Nachrichten vom 25.02.2003